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Brief von Max Bruch an Ernst Rudorff Musikwissenschaftliches Institut Köln Max-Bruch-Archiv Signatur: Br. Korr. 154, 192
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Brief von Max Bruch an Ernst Rudorff Musikwissenschaftliches Institut Köln ; Max-Bruch-Archiv
Signatur: Br. Korr. 154, 192
Bruch, Max (1838-1920) [Verfasser], Rudorff, Ernst (1840-1916) [Adressat]
Friedenau (Berlin), 28.09.1913. - 12 Seiten, Trauerrand, Deutsch. - Brief
Inhaltsangabe: Transkription: Friedenau, Sonntag, 28/9 13. Mein Lieber, Du bist ein besserer Mensch als ich; ich habe Dir nicht geschrieben, und Du schreibst mir, und Deine Zeilen wirken auf mich wie lindernder Balsam – denn wer könnte so mit mir, mit uns empfinden, wie Du? Ich hätte Dir längst antworten sollen, aber ich muß mich jetzt immer zum Briefschreiben zwingen, und dazu kommt, daß ich nie weiß, wo anfangen und wo enden, wenn Dir einmal nach längerer Zeit wieder schreibe. Es hat keinen Zweck, jetzt noch über unsere Zustände viel zu schreiben; man bemüht sich eben das Unerträgliche zu ertragen so gut es geht, und weiterzuleben - weil man eben weiterleben muß. Meine Frau hat sich lange aufrecht erhalten, aber ihr Nervensystem hat doch zu sehr gelitten; es ging ihr in den letzten Wochen in Oberhof sehr schlecht. Sie wird sich, das sehe ich genau, von diesem Schlag nie erholen, denn sie hing mit ganzer Seele an diesem braven u. tüchtigen und sonnigen Sohn, der so ruhig und sicher seinen Weg machte, und eben noch das Morgenroth einer schönen Zukunft gesehen hatte, ehe er als armes Opfer eines grausamen Schicksals in sein frühes Grab hin mußte. Was mich betrifft, so hatte ich viele Wochen das Gefühl daß ich mich nie mehr mit Musik beschäftigen könnte, denn in mir war alles todt, es sang und klang nicht mehr in mir. Ich dachte daher ganz ernstlich daran, mich nur noch mit historischen Studien zu beschäftigen, da denn doch der Mensch, so lange er noch lebt, irgendetwas treiben muß. Aber schließlich ging es doch nicht mehr ohne Musik, und ohne Production; und es wurde mit wieder möglich mit innerem Antheil Einiges zu Stande zu bringen. Ich instrumentierte meine Hymne zu Einweihung des herrlichen, mir seit Kindheitstagen theuern „Bergischen Doms“ zu Altenburg (Rheinprovinz), um den sich meine verst. Freundin Maria Zanders u. ihre Familie große Verdienste erworben hat; dann schrieb ich ein größeres Adagio für Orchester „In Memoriam“ zum Andenken an m. Sohn (dies unter uns, Niemand kennt das Stück); und schließlich machte ich eine ganze Anzahl von Chorliedern – u. Gesängen a cappella, 4st. und 6stimmige, von denen Dich einige, wie ich glaube, interessieren werden. Ich kehre immer wieder sehr gerne zum Chorlied zurück; und je größer heutzutage auch auf diesem Gebiet die Verrohung geworden ist, je mehr befleißige ich mich bei dieser Aufgabe einer sorgfältigen, correcten, charakteristischen und melodischen Stimmführung, Ich sage Dir - wie in unserer Zeit von der ganzen „modernen“ Canaille Gesang und Stimmführung behandelt werden - es ist himmelschreiend, u. man muß es sehen, um es zu glauben! Ich weiß nicht, wie viel oder wie wenig Antheil Du in Deinem Lauensteiner Idyll an dem Narrentanz dieser Welt nehmen magst. Der große Scandal des Sommers war Hauptmann’s niederträchtiges und ganz unqualificirbares Machwerk – nicht zur Feier, sondern zur Verhöhnung der unvergleichlichen Erhebung Preußens im Jahr 1813 / Ich habe es; willst Du es lesen? Man kommt aber kaum durch! / Diesem Stück hat der dekadente Dichter gleich ein zweites folgen lassen, indem er in Berlin Schillers unsterblichen Tell neu „inscenirte“ u. – zusammenstrich. Melchthals herrliche Stelle über das Augenlicht – ganz gestrichen; von Geßlers Monolog in der hohlen Gasse hat er nur ein paar Zeilen übrig gelassen, u.s.w.!! Aus alledem geht hervor, wie gänzlich unvereinbar die Empfindungsweise dieser perversen und dekadenten, innerlich kranken Kerle mit dem Geist der Befreiungskrieg und dem Geist unserer großen Dichter ist. Auch für solche Sünden müßte wahrlich die Prügelstrafe eingeführt werden! - S. Saëns ist hier, ich habe ihn aber noch nicht gesehen, und da er ein kalter Egoist ist (in der Art wie Gernsh[eim].), so wird er sich wohl auch nicht um mich kümmern, obwohl wir uralte Bekannte sind. – Am 20. Oct. bringt Ochs endlich wieder einmal meine doppelch[örigen] Messensätze (deren Wiederholung schon 1907 Chor und Publicum allgemein wünschten und erwarteten). Ich hoffe doch, daß Melusine oder Elis. um die Zeit hier sein werden! Melus. deutete wenigstens diese Möglichkeit an. Es wird sehr schön. Gernsh. hat ein neues Viol. Concert gemacht, Marteau wird es mit allem Glanz hier u. in Hamburg in die Welt einführen. Nach den vergeblichen Anläufen von Juan, Reger (!!), Sinding, Tschaikowski, etc. etc. könnten die Geiger nur wünschen, ein gutes neues Concert in die Hände zu bekommen, denn ich allein kann’s doch nicht machen, und mein I. müßte doch endlich einmal für 5 Jahre polizeilich verboten werden! Aber ich habe, unter uns, kein Zutrauen zu G.s jetziger Production; er möchte es jetzt Allen recht machen (was nicht möglich ist) und wird schließlich zwischen zwei Stühlen sitzen. – Von Reger besitze ich seit dem Frühjahr etwas sehr scheußliches – seinen Römischen Triumphgesang, den er mir auf den Nacken gesetzt hat. „Solch ein Lied, das Stein erweichen, Menschen rasend machen kann!“ [Katzenmusik-Aphorismus von Lichtwer, WS] – Scholz hat also die Geschichte s. Lebens geschrieben. Hoffentlich schreiben nicht Andere die Geschichte seines Fiasco’s; Das Material wäre so umfangreich, daß 3 Bände kaum reichen dürften. Kennst Du seine „Glocke“, die er einige Jahre nach dem Erscheinen der meinigen (!) veröffentlichte? Er hat viel Ledernes und Talentloses geschrieben, und war zu meiner Zeit das enfant terrible der Concert-Comite’s, die er immer bedrängte; aber diese „Glocke“ übertraf dann doch alles Andere an Ledernheit u. Trockenheit. Sie ist dann auch sehr bald auf dem Kirchhof Sancta Simplicitas beigesetzt worden. Aus Scholz wäre aber ein ganz ordentl. Reg. Rath oder Geh. Commerzienrath geworden! – Der guten Melusine, die mir sehr lieb geworden ist, schreibe ich bald. Herzlichst Immer Dein guter M. Bruch.Rudorff, Melusine [Erwähnt], Bruch, Clara (1854-1919) [Erwähnt], Bruch, Hans [Erwähnt], Zanders, Maria (1839-1904) [Erwähnt], Saint-Saëns, Camille (1835-1921) [Erwähnt], Gernsheim, Friedrich (1839-1916) [Erwähnt], Reger, Max (1873-1916) [Erwähnt], Rudorff, Melusine [Behandelt]
Altenberger Hymne.
Konzerte, Violine, Orchester, Nr. 1, op. 26, g-Moll.
Hauptmann, Gerhart: Festspiel in deutschen Reimen.
Bemerkung: Max Bruch
Objekteigenschaften: HandschriftPfad: Max-Bruch-Archiv / Korrespondenz
DE-611-HS-4305408, http://kalliope-verbund.info/DE-611-HS-4305408
Erfassung: 26. November 2025 ; Modifikation: 4. Dezember 2025 ; Synchronisierungsdatum: 2025-12-04T09:58:46+01:00
