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Brief von Max Bruch an Ernst Rudorff Musikwissenschaftliches Institut Köln Max-Bruch-Archiv Signatur: Br. Korr. 154, 216
Brief von Max Bruch an Ernst Rudorff Musikwissenschaftliches Institut Köln ; Max-Bruch-Archiv
Signatur: Br. Korr. 154, 216
Bruch, Max (1838-1920) [Verfasser], Rudorff, Ernst (1840-1916) [Adressat]
Friedenau, 16.12.1912. - 14 Seiten mit beiliegendem Gedicht, Deutsch. - Brief
Inhaltsangabe: Transkription: Friedenau, 16/12 12. M. L. schönsten Dank für Deine sehr interessante Sendung. Der Artikel über den alten trefflichen Justi (dessen ich mich von Bonn her auch sehr gut entsinne) ist ausgezeichnet; und es kann ihm nur zur Ehre gereichen, daß er rechtzeitig das Tafeltuch zwischen sich und den „modernen“ Kunsthistorikern zerschnitten hat. Denn es ist ja unglaublich, wie viel Unsinn man heutzutage lesen muß! – Den Appell an den Reichskanzler finde ich ganz gut und würde mich außerordentlich freuen, wenn man, wie gegen die schwarze Gefahr (die Ihr Alle unterschätzt!), auch gegen die rothe Gefahr endlich etwas Wirksames thun könnte – ja wohl, könnte, aber man kann es leider jetzt nicht mehr, weilman es zu weit hat kommen lassen; - und auch deßhalb nicht, weil es etwas ganz Anderes ist, die schädliche Thätigkeit eines Ordens der sich nun einmal in Deutschland seit der Reformation unmöglich gemacht hat (d. h. von 200-300 Jesuiten, - nicht von „ein paar“) oder sich gegen 3-+4 Millionen Socialdemokraten zu wehren. Bismarck hat leider eine schwere Schuld auf sich geladen, als er gegen den Widerstand aller Einsichtigen das unsinnige gleiche und allgem. Wahlrecht durchsetzte. 1890, vor seinem Sturz, sah er allerdings deutlich ein, wie sehr er 20 Jahre früher gefehlt hatte, und schlug dem damals jungen Kaiser scharfe Maßregeln gegen die socialdemokr. Agitation vor; die wollte aber S. M. nicht, es kam zum Zerwürfniß, Bismarck fiel, und – es wurde immer schlimmer. Die ganze social-demokr. Presse (aus der ich Auszüge lese) führ genau deiselbe Sprache wie s.Z. die Jacobiner in der ersten französ. Revolution; und wenn sie die Macht hätten, so würden sie ebenso handeln! – Meine Meinung ist nun, daß Regierung und Reichstag beiden Gefahren gegenüber schon viel früher die schwersten Unterlassungssünden begangen haben; die Jesuiten hätte manein für alle Male gänzlich verbieten sollen, (wie es die Schweiz, Sachsen, Würtemberg etc. gethan haben) weil wir einen solchen Kampforden in einem vorzugsweisen protestantischen (und paritätischen) Staat nicht gebrauchen können und ihn auf Grund der bittersten geschichtlichen Erfahrungen verwerfen; frivoler social-dem. Agitation hätte man gesetzliche Hemmungen jeder Art entgegensetzen müssen. Jetzt ist sehr viel, wenn nicht alles verloren. Mit ein paar hundert ultramontanen Maulwürfen könnte man vielleicht noch fertig werden – mit Millionen irregeleiteter Soc.-Demok. nicht! – Das Liebäugeln der protestantischen Orthodoxie mit dem Ultramontanismus ist nicht allein höchst beklagenswerth, sondern sehr gefährlich, und beweist nur 1) daß diese Leute aus der Geschichte nichts gelernt haben, und 2) daß sie Rom und den Jesuitenorden gar nicht kennen. Zu einer solchen Allianz wird sich der wahre Protestantismus, dem die orthodoxen Dogmen (Menschenwerk!!) ganz fremd geworden sind, nie hergeben. Die Anhänger einer solchen Allianz wissen nicht was sie thun, und werden es erleben, daß der Ultramontanismus schließlich ihnen hohnlachend das Fell über die Ohren zieht. Ich möchte nicht in der Haut von Leuten stecken, die jetzt wohlmeinend aber kurzsichtig Rom’s Geschäfte besorgen! Bei dieser Gelegenheit fällt mir Goethe#s herriches Gedicht zur III. Säcularfeier der Reformation ein (1817). Vielleicht ist es Dir nicht gegenwärtig, - ich lege es bei, behalte es! „Wie auch der Pfaffe sinnt und schleicht“ – vortrefflich! – Meine Meister-Sch. ist noch immer nicht besetzt. Schmidt soll ganz rathlos sein!! Immer Dein M. Bruch Abends Gegen alle braven, guten und frommen Katholiken, die gute Deutsche sind und die Oberaufsicht des Staates anerkennen, habe ich natürlich gar nichts, und wünsche daß sie nach ihrer façon selig werden (wenn wir auch mit ihren Dogmensystem sehr wenig oder nichts gemein haben). Alles was ich vorhin sagte, richtet sich nur gegen die jetzt herrschende Richtung der kath. Kirche, die man Ultramontanismus nennt, u. die gleichbedeutend mit Jesuitismus ist. Lies nochmal Auszüge aus den officiellen vaticanischen, von Jesuiten redigirten Organen, der „Civiltà Cattolica“ und dem „Osservatore romano“ – Du wirst über diese unflätigen Schimpfereien gegen Deutschland, gegen die Preußen, gegen die Hohenzollern, gegen alles, was wir hochhalten ebenso erbittert sein wie ich!! Der seit kurzem bestehende „Wehrverein“ will in weiten Kreisen auf sehr bedenkliche, sehr gefährliche und kaum verständliche Lücken in Deutschlands Rüstung aufmerksam machen. Es ist jetzt eine gar nicht mehr bestrittene Thatsache, daß Frankreich, obgleich es 25 Millionen Einwohner weniger hat als wir, viel besser u. stärker gerüstet ist las wir. Es fehlt uns notorisch an Maschinengewehren, an einer starken Luftflotte und an Kanonen, und Hunderttausende sind überhaupt nicht zum Dienen gekommen. Unserer „Landwehr“ steht in Frankreich die sog. „Territorial-Armee“ gegenüber . In Frankreich waren und sind alle Parteien immer einig, wenn es sich um die äußerste Anspannung der militärischen Kraft handelte. Bei uns aber zankt man sich immer, und marktet und feilscht, und unfähige Leute an den höchsten Stellen (S. den langen Moltke!) versäumen viel Wichtiges.“ Der Krieg wird kommen – siegen wir nicht, so verlieren wir die Rheinprovinzen, das Elsaß, die Ostprovinzen, müssen nicht 5 Milliarden, sondern 10 zahlen, das Deutsche Reich wird aufgelöst, und dann kann man sagen: Finis Germaniae! - Ich bin daher dem Wehrverein beigetreten u. billige von Herzen seine sicher berechtigte Agitation für Verstärkung des Heeres. D. Ob. [Beilage:] Zum 31. Oct. 1817. Dreihundert Jahre hat sich schon Der Protestant erwiesen, Daß ihn von Papst und Türkenthron Befehle baß verdrießen. Wie auch der Pfaffe sinnt und schleicht, Der Prediger steht zur Wache, Und daß der Erbfeind /Rom!/nichts erreicht, Ist aller Deutschen Sache. Auch ich soll gottgegeb‘ne Kraft Nicht ungenützt verlieren, Und will in Kunst und Wissenschaft Wie immer protestieren. (Goethe)Bemerkung: Max Bruch
Objekteigenschaften: HandschriftPfad: Max-Bruch-Archiv / Korrespondenz
DE-611-HS-4305859, http://kalliope-verbund.info/DE-611-HS-4305859
Erfassung: 28. November 2025 ; Modifikation: 28. November 2025 ; Synchronisierungsdatum: 2025-11-28T12:23:26+01:00
