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Brief von Max Bruch an Ernst RudorffMusikwissenschaftliches Institut KölnMax-Bruch-ArchivSignatur: Br. Korr. 154, 177

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Brief von Max Bruch an Ernst RudorffMusikwissenschaftliches Institut Köln ; Max-Bruch-Archiv

Signatur: Br. Korr. 154, 177


Bruch, Max (1838-1920) [Verfasser],Rudorff, Ernst (1840-1916) [Adressat]

Friedenau, 08.10.1914. - 12 Seiten, Deutsch. - Brief, Brief

Inhaltsangabe: Transkription: Friedenau, Albestr. 3/I, 8. 10. 14M. L. Deinen l. Brief vom 4/10 habe ich mit Dank erhalten. Ich habe daraus u. A. entnommen, (was ich noch nicht wußte), daß Dein Sohn bei der Kölner Regierung angestellt war. / und wohl noch ist? / Da er in Belgien war, wie Du schreibst, so sind seine Berichte über seine dortigen Eindrücke gewiß höchst interessant und lesenwerth. Sei also so gut und schick mir den betreff. Brief für einige Tage; ich sende ihn eingeschrieben zurück. Der Kölner Reg.-Präsident Steinmeister, ein tüchtiger und liebenswürdiger Mann, ist ein guter Bekannter von mir; bei der Feier meines 70. Geb. in Köln erwies er sich besonders freundlich und theilnehmend. In der Nähe, in Düsseldorf, ist mein alter Freund Dr. Kruse Reg. Präsident; hätte der Zufall Deinen Sohn statt nach Köln nach Düsseld. geführt, so würde er an der feinen, lieben, geistvollen u. höchst musikalischen Frau Kruse (einer Tochter von Maria Zanders) viel haben. Vielleicht treffen sie sich einmal am Rhein. – Die Jungen sind schwer zurückzuhalten; trotzdem hoffe ich, daß Dein Sohn Vernunft angenommen hat und nicht mitgeht; er würde sich ganz sicher ruiniren, und hat doch immerhin einige Ursache sich zu schonen – wenn auch Gott sei Dank die Anfälle sich in den letzten Jahren nicht wiederholt haben. Von meinem jüngsten Sohn, den Gardeschützen, hatten wir zuletzt einen Feldpostbrief vom 30. Sept. Damals lagen sie nördlich von Reims in Reserve. Er schreibt ganz sachlich, und voll Muth und Vertrauen, klagt über nichts und sagt auch nichts über seinen Gesundheitszustand; einem Freund hat er aber geschrieben, er sei doch „sehr abgespannt“. Wahrlich kein Wunder! Das Lichterfelder Ersatzbataillon (zu dem jetzt die Marburger Jäger gehören) ist am 6. Oct. Nach Reims abgegangen / zur Complettirung des am 8. Sept. so hart mitgenommenen Bataillons / und sollte schon am 11. dort eintreffen. Es nahm Packete mit, und wir benutzten natürlich diese gute Geleg. dem armen Jäger schnell Einiges zukommen zu lassen – u. A. warmes Unterzeug, Strümpfe, und Cigarren – wonach sie Alle schreien wie der Hirsch nach frischem Wasser! Gott weiß, was nun kommen wird! Das Allerschwerste dürfte wohl dort im Westen noch bevorstehen. Man wird fortwährend hin- und hergeworfen zwischen dem lodernden Enthusiasmus über die gewaltigen Thaten unserer Leute und der verzehrenden Trauer über all das edle Blut, was da vergossen wird! In dieser schweren und furchtbaren Zeit, (wo sich bei unsern infamen Feinden die Bestialität „gar herrlich offenbart“) ist die Kunst todt – sie kriecht nur noch mit leisem, fast unhörbarem Flügelschlag wie ein verwundeter Vogel, am Boden! Ich nehme ab und zu vergeblich Anläufe zu arbeiten, lege aber dann immer wieder muthlos u. deprimirt das Papier weg und sage mir: „Wozu?“ es kommt ja jetzt nur noch darauf an, wie viele Menschen der Eine dem Andern totschießt. Kriegslieder zu schreiben überlasse ich den Jüngeren; leider produciren sie aber sehr viel patriotischen Schund – nichts, was auch nur entfernt der ungeheuren Größe der Ereignisse entspräche. – Antwerpen – grandios! Aber die Lage in Frankreich macht mir, trotz partieller Erfolge, noch immer große Sorge. Denn die feindlichen Massen sind zu große und auch zu tüchtig. Wir haben sie, Du magst sagen, was Du willst, viel zu stark werden lassen; und unsere, vom moralischen Standpunkt aus unanfechtbare Handlungsweise, die „Präventionskriege“ (wie Friedr. d. Gr. und die alte Römer sie führten) verurteilte und vermied, kostet uns jetzt viele Tausend von Menschenleben. Das sagte auch Moltke, als Bismarck 1867 wegen der Luxenburger Frage aus Gewissensbedenken nicht losgehen wollte. 1870 mußten wir für dies Zaudern schwer büßen, - wenn wir auch troptz aller enormen Blutopfer siegten! – Einerseits fast komisch, andererseits geradezu degoutierend wirken die seltsamen Manöver des Geh. R. Schmidt und Kretzschmars, um einen Menschen zu halten, der dort nicht mehr zu halten ist – nämlich Herrn Marteau. Er war und ist Officier der französischen Territorial-Armee (Reserve) und ist auch nach s. Anstell. im preuß. Staatsdienst mit Zustimmung unseres Ministeriums Franzose geblieben(!) Trotzdem hat er sich beim Ausbruch des Krieges dort nicht gemeldet und somit sein Vaterland verrathen. Er stellte sich aber, das Sichere dem Unsicheren vorziehend, hier in Deutschland als „Kriegsgefangener“, und war zuerst auf seiner Besitzung, dann in Döberitz (wo seine Existenz äußerst behaglich gewesen sein soll) und dann in Berlin in seiner Wohnung internirt. Vor etwa 8 Tagen verlautbarte auf einmal, Herr Marteau werde wieder, als wenn gar nichts vorgekommen wäre, an der Hochsch. unterrichten. Darauf reichten am 7. Oct. eine Anzahl von Lehrern der H. Sch. einen Protest ein – und mit vollem Recht; denn wie ist es möglich, daß man in einer Zeit, wo tagtäglich tausende unserer Landsleute von französischen Kugeln niedergestreckt werden, ein französischer Officier an der ersten musik. Staatsanstalt Preußens u. Deutschlands fungirt? Hier hört denn doch wirklich alle internationale Zärtlichkeit auf. Das geht doch nicht - es ist doch ganz einfach unmöglich! Nun höre ich, Mart. nicht in den Räumen der H. Sch. sondern bei sich zu Hause unterrichten soll. Ein elendes Auskunftsmittel, und eine Mogelei! Jetzt soll sich aber der Senat mit der Sache befassen. – So werden hier die Dinge behandelt! – Herzl. Gruß Euch allen, Dein tr. M. Bruch.

Bemerkung: Max Bruch

Objekteigenschaften: Handschrift

Pfad: Max-Bruch-Archiv / Korrespondenz

DE-611-HS-4304509, http://kalliope-verbund.info/DE-611-HS-4304509

Erfassung: 21. November 2025 ; Modifikation: 21. November 2025 ; Synchronisierungsdatum: 2025-11-21T13:11:52+01:00