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Brief von Max Bruch an Ernst Rudorff Musikwissenschaftliches Institut Köln Max-Bruch-Archiv Signatur: Br. Korr. 154, 172
Brief von Max Bruch an Ernst Rudorff Musikwissenschaftliches Institut Köln ; Max-Bruch-Archiv
Signatur: Br. Korr. 154, 172
Bruch, Max (1838-1920) [Verfasser], Rudorff, Ernst (1840-1916) [Adressat]
15.01.1914. - 10 Seiten, 2 Seiten Abschrift eines Briefs von Max Bruch an Oberst von Reuter, Deutsch. - Brief, Brief
Inhaltsangabe: Transkription: F. 15/1 14. Es kommt mir so vor, mein Lieber, als wenn wir recht lange nichts von einander gehört hätten, - d.h. genauer ausgedrückt, als wenn ich Dir lange nicht geschrieben hätte, denn Du hast mir noch am 30/12 geschrieben, wie ich sehe! Leider ist doch der Winter mit all seinen Unbildten ein sehr wesentliches Hindernis für den Verkehr zwischen zwei so alten Kerlen, wie wir. Der December war sehr scheußlich, und bei der jetzigen großen Kälte kann ich draußen gar nicht athmen – sitze übrigens schon seit mehr als 3 Wochen mit Erkältung zu Hause, u. muß mich sehr in Acht nehmen. Wie traurig und elend für uns diesmal die ganze Festzeit war (Weihnachten, Neujahr, Geburtstag etc.) – das brauche ich Dir nicht zu sagen. Bei uns war alles dankel – in den Zimmern wie in den Herzen! Trotzdem arbeite ich mehr denn je – und Du wirst Dich wundern, wenn ich Dir eines Tages sage, woran! – Der Parsifal-Paroxysmus läßt mich kalt; wenn auch alle Welt heute verrückt ist, so resultirt doch hieraus für mich keineswegs die Verpflichtung, es auch zu sein. Wenn ich überhaupt eines Tages hingehe, so muß ich mir unbedingt durch die Nähe einer Logenthür die Möglichkeit sichern, schon nach 10-20 Minuten zu entfliehen – denn länger habe ich nie die pure, nackte Formlosigkeit in der Musik aushalten können. Dies ist der springende Punkt in der ganzen Sache, in der Wagnerei – die ganze Sache beruht auf den gröbsten ästhetischen Denkfehlern. Und die größte Dummheit und Thorheit ist es, wenn man heutzutage – wie das häufig geschieht – Wagner gewissermaßen als unschuldigen Tugendbold wie einen Gegensatz zu der neuesten, unausstehlichen, deutschen Orchester-Oper mit permanentem declamatorischen Geschwätz, Gestöhn, Geschrei auf der Bühne bringen will; nein, - er ist an Allem schuld, er hat all das Scheußliche zunächst aufgebracht – und seine Saat geht und heute blutig auf! – In der Politik fahren wir fort aus Mücken Elephanten zu machen (S. Krupp und Zabern!!) und uns vor der ganzen Welt so zu blamiren, daß kein Hund mehr ein Stück Brot von uns nimmt. Es geht uns wie dem Goethe’schen Schäfer: Wir sind heruntergekommen und wissen selber nicht wie! S. den deutschen Reichstag, den ich am Liebsten zu allen Teufeln jagen möchte! / - Wo sind Männer – wo ist ein neuer Bismarck – wo ist ein Dictator, der den Mut hat im Westen die frechen Französlinge u. Pfaffen und im Osten das hochverrätherische Polen-Gesindel so zu behandeln, wie sie es verdienen – d.h. mit der eisernen Faust?!! Der einzige Mann in der ganzen verfl_[ucht]en Zabern-Affaire war der brave und unerschrockene Oberst von Reuter – das denkst Du doch auch? 15.000 zustimmende Telegr. u. Briefe hat er erhalten – und darunter war auch ein Brief von mir, den ich als Abschrift beilege. – Berlin ist auch dermaßen auf den Hund gekommen, daß es demnächst dem Schandbuben G. Hauptmann, der seine Odyss.-Parodie bringt, einen begeisterten Empfang bereiten wird. Ein Engländer oder Franzose würde (nach solchen Sommer-Thaten) in London und Paris mit faulen Eiern beworfen werden; aber die Berl. Juden u. Judenfreunde haben weder Ehr‘- noch Vaterlandsgefühl. – In der Hochschule halten jetzt Reger und R. Strauss auf hohen Kameelen ihren Einzug. Daß man auch diesen Niedergang noch erleben muß! Daß auch an dieser Stätte jetzt Gesinnungs- und Charakterlosigkeit herrschen!! – Gernsheim’s neues Violinconcert habe ich mir angesehen; er rückt von R. Strauß ab, es ist im Ganzen ordentliche Musik - aber die Themen sind durchweg mehr gemacht wie erfunden. Es wird aber für dies Concert furchtbar trompetet u. posaunt. Beethoven war nichts dagegen! Treulichst Dein M. Bruch P.S. Meine Schwester hat sich nach und nach etwas erholt; sie hat aber noch immer eine Pflegerin, und viel Gutes ist leider nicht mehr zu hoffen, da es sich im Wesentlichen um Verkalkung handelt. – Daß Du s. Z. in den Schiller-Roman der Tägl. Rundschau einen Blick geworfen hast, ist mir leid, denn er ist miserabel, und ich lese ihn nicht mehr; zu allen Zeiten habe ich mich über die abscheuliche Mode geärgert, große Männer literarisch ein- und abzuschlachten, u. sie dann das dümmste Zeug reden zu lassen. Das soll culturgeschichtlich sein, es ist aber dabei ebenso weing von Cultur wie von Geschichte zu merken. Ich halte diese Zeidung nur wegen ihrer ausgezeichneten , tapferen, nationalen, politischen Gesinnung; im Uebrigen bringt sie wie fast alle Zeitungen viel literarischen und Kunst-Quatsch, den man nicht liest! [Beilage]: An den kgl Oberst und Reg. Kommandant Herrn von Reuter Hochgeehrter Herr Oberst, Mit vielen Tausenden national gesinnter Männer beglückwünsche ich Sie wegen Ihres mannhaften, erhebenden und bei der Lage der Dinge durchaus gerechtfertigten Eintretens für die Ehre unserer rumreichen Armee und Ehre Deutschlands. Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung und aufrichtigster Sympathie Ihr sehr ergeb. Dr. M. B. etc.Reuter, Ludwig von (1869-1943) [Erwähnt], Wagner, Richard (1813-1883) [Erwähnt], Bismarck, Otto von (1815-1898) [Erwähnt], Hauptmann, Gerhart (1862-1946) [Erwähnt], Strauss, Richard (1864-1949) [Erwähnt], Reger, Max (1873-1916) [Erwähnt], Gernsheim, Friedrich (1839-1916) [Erwähnt], Bruch, Mathilde [Erwähnt]
Bemerkung: Max Bruch
Objekteigenschaften: HandschriftPfad: Max-Bruch-Archiv / Korrespondenz
DE-611-HS-4304472, http://kalliope-verbund.info/DE-611-HS-4304472
Erfassung: 21. November 2025 ; Modifikation: 21. November 2025 ; Synchronisierungsdatum: 2025-11-21T11:01:33+01:00
